Anarchie aus dem “Alltag”

Heute möchte ich mal aus meinem persönlichen Alltags-Nähkästchen plaudern. Weil mir gerade danach ist. Jeder definiert “Alltag” anders. Ich bin eher Team “kein Tag gleicht dem anderen”. Klar habe ich meine Routinen und mir fehlt auch etwas, wenn ich früh morgens nicht gechillt in der Küche mit meinem Kaffee sitze, um den Tag gemütlich zu beginnen. Wir haben tägliche Abläufe. Kind wecken, ihn mit Frühstück versorgen, in seine Klamotten stecken und mit ihm gleichzeitig das Haus verlassen, er zur Schule, ich ins Büro. Ab Mittag wird meine Tagesgestaltung individuell. Das genieße ich sehr und ich wage zu bezweifeln, dass ich jemals wieder Vollzeit arbeiten würde wollen. Die Abenden sind dann wieder ähnlich strukturiert wie die Morgen, nur umgedreht. Seit Oktober letzten Jahres kommt der Sohn viermal die Woche erst am späten Nachmittag von der Schule nach Hause, so dass nach 10 Jahren mal wieder ein bisschen freie Zeit für mich dabei herausspringt. Ganze acht Stunde pro Woche. Das ist zwar neu und ungewohnt in unserem Familienleben, wenngleich besser für uns beide. So kann ich, wenn nichts unvorhergesehenes dazwischenkommt, was bis jetzt leider meistens der Fall war, meine neu gewonnene Freizeit wieder mehr meinen Reiseberichten und der Reiseplanung widmen. Ein strukturierter Alltag ist dennoch bewiesenermaßen für viele Menschen wichtig, gerade für gefühlsstarke Kinder und Erwachsene, weil Strukturen Sicherheit bringen.

Doch wenn bei uns mal sowas wie ein Alltag einkehrt, dann nur mal wochenweise, danach geht dieser direkt durch zwischenzeitliche Ereignisse wieder auseinander. Zum Beispiel wenn das Kindchen mit Influenza flach liegt und 10 Tage fast unbrauchbar ist. Gerade dann, wenn sich ein “Alltag” eingespielt hat. Ferien bringen auch alles durcheinander. Das ist vergleichbar mit Sport, kaum fängt man wieder an, regelmäßig laufen zu gehen, zack wird man krank und muss erstmal wieder aufhören. Doch ganz ehrlich, so ein ungeplanter Tag ist für mich schöner als einer, der von morgens bis abends dem vorherigen Tag und dem danach gleicht.

Als ich neulich meinen Bericht über Kroatien fertig gestellt hatte, kam das Kindchen um die Ecke, schaute auf meinen Laptop und meinte “so machst Du also Deine Webseite.” Ich: “Genau. Du darfst da auch gerne hinsurfen und lesen”. Daraufhin er: “Das mache ich schon immer wieder” (wie wahrscheinlich so viele Kinder bekam auch er zu HomeShooling-Zwecken einen Laptop vom Papa, den er natürlich nicht mehr hergibt). Das höre ich doch gerne, wenngleich er womöglich nicht mit großer Ausdauer auf sausebrausmaus.de herumsurft :) Er weiß schon seit immer, dass ich von unseren Reisen berichte, aber er hasst es, mich vor dem Laptop sitzen zu sehen. Das macht die Sache natürlich fast unmöglich, zumindest wenn er zu Hause ist. Die Reiseplanung muss ich nunmal am Laptop machen, ebenso die Berichte. Reisen mit allen Vor- und Nachbereitungen ist mein größtes Hobby. Da aber er eine begrenzte Medien-Zeit hat, ist es natürlich ungerecht, wenn Mama dann aber länger am Laptop sitzen darf. Das verstehe ich. Ich lebe es ja vor. Das ist wohl der Hauptgrund, warum’s bei mir immer länger dauert bis meine Berichte online sind. Ich gebe zu, der Übergang von Alltag zu Reiseberichte war jetzt nicht der raffinierteste.

Zudem haben mich die letzten Monate ganz schön geschafft, mein Tatendrang und mein Aktionismus sind daher so ziemlich auf der Strecke geblieben. Wir haben viel unternommen letztes Jahr und dennoch nicht alles, was ich gerne machen wollte. Aber im Vergleich zu früher stört mich das gar nicht so sehr. Dann habe ich diese Wanderung halt nicht gemacht und der Städtetrip kann auch warten. Derweilen bin ich gar kein Freund davon, irgendetwas auf später zu verschieben und das ist auch nicht meine Art, mein Leben zu leben. Ich, wo ich doch so getrieben bin. Vielleicht hat man auch als Mama einfach manchmal keine Muße, noch am Wochenende einen Ausflug zu unternehmen. Bemerkungen darüber, dass mein Kind hochsensibel und sehr gefühlsstark ist, habe ich auf Insta schon öfter mal fallen gelassen. Das hat er leider von mir. Ich weiß, dass es sich für einige Mehrfachmuttis lustig anhören mag, wenn eine Mutter mit „nur einem Kind” das Word Mental Load auch nur ansatzweise in den Mund nimmt. Was soll mit einem schon stressig sein und wie kann man da unter organisatorischer Überlastung leiden? (Achtung Ironie!). Jeder Mensch hat aber unterschiedliche Stärken und Schwächen und meine Schwäche liegt darin, dass ich schnell an eine Stressgrenze gerate, ebenfalls hochsensibel bin und sehr gefühlsstark reagieren kann. Meine innere To-dos-Liste quillt permanent über (auch mit positivem Zeugs) in Kombination mit dem meist selbstgemachten Druck, funktionieren zu müssen. Ich habe Themen, die ich da Tag für Tag bewältigen muss und möchte, zuallererst das Kind ordentlich durch seine gefühlsstarke Kindheit begleiten und zwar mit ganzem Herzen. Dabei höre ich sehr gerne meiner Lieblingsautorin Nora Imlau zu, die so wunderbar über Gefühlsstärke spricht und mir schon so einige Male geholfen hat. Ich habe gelernt, es zu verstehen und anzunehmen und eben auch, dass ich als Kind genauso gewesen bin. Manchmal schiebe ich To-Dos täglich vor mir her, weil nicht alles gleichzeitig Platz im Kopf hat und es kommen zwei neue dazu sobald eine erledigt ist. Wenn das Hirn ständig auf Hochtouren läuft, ist es letztendlich auch egal ob man „nur ein Kind“ hat oder mehrere. Die Arbeit ist ja trotzdem da. Wir haben nun einmal den härtesten Job der Welt. Ob mit einem oder mehreren Kindern. Nur weil “nur ein Kind” in der Familie ist, heißt das nicht, dass man sich für das eine nicht genauso einsetzt wie für mehrere. “Nur eins” lässt man doch deswegen nicht im Stich. Ich hoffe sehr auf mehr Verständnis in meinem Umfeld und im Umfeld von anderen betroffenen Elternteilen. 

Manchmal schaue ich den Müttern zu, die trotz Familie und Job nebenbei wöchentlich Youtube-Videos hochladen. Das sind drei Aufgaben in einem kurzen Satz und nicht als Bewunderung zu verstehen, denn ich bewundere generell andere Menschen nicht. Ich sehe auch Menschen, die sich mit ihrem Perfektionismus, Vollzeitjob und Kindererziehung kaputt machen. Menschen, die nie genug Materielles kriegen können und trotzdem unglücklich sind. Immerhin muss ich mir keine Gedanken darum machen, dass ich mit meinem neu erlernten Phlegmatismus jedem Trend hinterherlaufe und womöglich noch alles kündige, um mit meiner Familie auf Weltreise zu gehen, weil man das heutzutage halt so macht. Denn meine Freiheit fängt im Kopf an (Stichwort: kein Tag gleicht dem anderen und Alltag ist eher nicht so meins) und ich habe auch zu Hause meine Marmeladenglasmomente.

2018 und 2019 waren zusätzlich extreme Stressjahre. Zu Gunsten meiner Selbstständigkeit als Hochzeitsfotografin war ich ständig unterwegs, an vielen tollen Orten, Seen, Schlösser, Berge, Klöster und sogar auf Mallorca. Aber ich konnte es nicht in dem Sinn genießen, wie man es auf privaten Ausflügen tun würde, denn es ging ja immer nur um die Arbeit. Es gab keine Zeit zum Reisen, weil ständig Fotoaufträge anstanden. Da ich 2007 schon einmal mit Herzrasen und Panikattacke auf der Intensivstation lag, merkte ich Ende 2019, wie ich schon wieder kurz davor stand. Schon damals wusste ich, das es wichtig ist, mich von Dingen zu befreien, die mir nicht gut tun. Ich habe kein gutes Nervensystem, bin zwar durchaus kurzfristig belastbar, aber nicht dauerhaft. So machte ich einen Cut, legte alles auf Eis und damit auch eine Menge reingesteckter Arbeit und Zeit. Eine Befreiungsaktion, die mir wirklich gut tat. Vor allem stärkte ich mich selbst, weil ich die Entscheidung dafür treffen konnte. Im Nachhinein vermisse ich es, dass wir keine großartigen Urlaube in der Zeit gemacht haben. Aber ich vermisse nicht die Selbstständigkeit. Das ist es mir nicht mehr wert. Keine Arbeit ist es mir wert, meine Freizeit aufzugeben oder die Arbeit mit in den Urlaub zu nehmen. Dafür ist die Zeit für mich zu kostbar. Da verdiene ich lieber weniger Geld.

Nun widme ich mich seit 2020 anderen Dingen, die weitaus schöner sind, nämlich Selbstversorgung und Nachhaltigkeit. Drei Jahre lang habe ich in den 7 Sommermonaten ein 60qm großes Feld gepachtet und bewirtschaftet. Ich habe gelernt, Gemüse selbst vorzuziehen, welche Sorten gute Beetnachbarn sind, was es während des Wachstums zu beachten gibt und dass das Gemüse frisch vom Feld am allerleckersten schmeckt und es gar kein aufwendiges Kochrezept braucht. Es gibt zwar einen Garten an unserem Haus, aber der ist nicht zum Anbau geeignet und außerdem fast komplett vom Apfelbaum beschattet. Ich hätte zwar auch gerne ein Ganzjahresfeld oder -garten, aber da auf meinem Feld schon im März die ersten Saaten in die Erde kommen dürfen, bin ich damit auch ganz glücklich, wenngleich mir das Wintergemüse fehlt. Im ersten Jahr hatte ich Ernteschwemmen nach Hause gebracht, was ich nie für möglich gehalten habe. Es wurde an Nachbarn und im Büro verschenkt. Im zweiten Jahr kamen die Schnecken und fraßen fast alles kahl und im letzten Jahr reichte die komplette Ernte gerade mal für uns drei. Man muss dazu sagen, dass ich fast kein weiteres Gemüse dazukaufe, sondern wir uns komplett vom Ertrag ernähren, was das Feld hergibt. Da Mann und Kind vegetarisch essen und ich vegan, ist Gemüse daher fast Grundnahrungsmittel und entsprechend viel wird angebaut. Über den Winter ziehe ich mir zum zweiten Mal erfolgreich Wintersalate und Winterspinat in meinen zwei Hochbeeten. Im nächsten Sommer sollen dort mehr Tomaten wachsen. Auf dem Feld ist es nicht windgeschützt und dort hatte im ersten Jahr ein Sturm mein Gewächshaus zerstört. Genau wie der Blitz, der in den Baum einschlug und dieser direkt auf meinem Feld landete. Nicht auf den beiden nebenan, sondern bäm, genau auf meins. Zum Glück ist nicht viel kaputt gegangen und das Kind hatte Spaß, auf dem umgestürzten Baum herumzuklettern. Im Übrigen wächst der Baum weiter, nur die Seite, in der der Blitz einschlug, ist kahl. Ich freue mich auf die neue Feldsaison und was dann alles wachsen darf.

Wir versuchen seither auch so nachhaltig wie möglich zu reisen und zu leben. Das schaffen wir mit Zero-Waste-Einkäufe, Abfall vermeiden, Auto stehen lassen, Verzicht auf bestimmte Kleidungsstücke, vegetarisch/vegane Ernährung, Flüge vermeiden… Es gibt viel. Auf dem Foto seht Ihr übrigens unseren veganen Weihnachtsbraten nach Wellington-Art, der war supermegalecker! Ich nähe sogar meine Klamotten selbst aus recycelten Stoff, in dem Plastikfalschen verarbeitet sind. Nähen ist durchaus bereichernd, umweltfreundlich und sinnvoll. Genau wie garteln in der Sonne ist der Platz an der Nähmaschine wie Therapiestunden :-) Ich versuche außerdem, ungebrauchte Gegenstände zu upcyclen. Wir haben ja ohnehin nicht viel Materielles zu Hause, was an sich schon zur Nachhaltigkeit beiträgt und unser Familienzuwachs ging eben auch nicht direkt mit groß Auto- und Hausbau einher. Wir wollen lieber Reisen und unser Geld in gemeinsame Zeit investieren als in Abzahlungen. Mit unserem ganz normalen Seat verbrauchten wir inkl. Dachbox während unseres dreiwöchigen Roadtrips nach Griechenland im Schnitt 5,5 Liter Benzin. Mit der Tankfüllung aus dem Urlaub sind wir zu Hause noch zwei Monate gefahren, weil das Auto mehr steht als fährt. Nach dem Motto, man kann auch mit einem ganz normalen Auto sehr geile Road-Trips machen, sehe ich keinen Bedarf an einem größeren Auto mit noch mehr Blech und Plastik und noch größerer Umweltverschmutzung. Wir haben ans Auto eine Anhängerkupplung nachrüsten lassen und falls wir mal etwas größeres transportieren müssen, leihen wir uns einfach einen Anhänger aus. Die Bikes können wir Dank der Kupplung mit dem Fahrradträger auch mitnehmen.

Jetzt bin ich mal wieder von einem Thema zum nächsten gekommen. Etwas wirr, aber so sieht’ eben bei mir aus :-) Mir gefällt die Abwechslung ganz gut, sowohl in meinem Kopf, was sich hier in meinen Zeilen widerspiegelt als auch in unserem nicht vorhandenen Alltag.

Eine schöne Woche wünsche ich Euch

Eure Nicky